Von Trauerkartoffeln, Demonstrierenden und einer zerplatzenden Mandarine

Am vergangenen Samstag marschierten im kleinen Städtchen Remagen (etwa auf halber Strecke zwischen Bonn und Koblenz) wie jedes Jahr einige Neonazis auf. Ziel des alljährlichen Trauermarsches ist die Schwarze Madonna, eine Statue, die von einem Kriegsgefangenen der Alliierten. einem bekennenden Nationalsozialisten des Dritten Reichs, gefertigt wurde.

Warum Remagen? Ein kurzer Hintergrund

Dieser “Künstler” war zusammen mit einigen tausend anderen kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in den sogenannten Rheinwiesenlagern (u.a. in Remagen) untergebracht. Da die Alliierten aber von der Menge der Gefangenen überfordert waren, kamen dort wissenschaftlichen Schätzungen zufolge 5000 bis 10000 deutsche Kriegsgefangene ums Leben.

Diese Zahl wird nun von Neonazis aufgebauscht, die inzwischen von 1 Million Toten in den Rheinwiesenlagern sprechen und diese Lager zum wahren Völkermord des zweiten Weltkriegs erklären, gegen den die unzähligen, von Deutschland verursachten Toten verschwindend gering seien.

Als würde das nicht schon ausreichen, um sich vor Ekel übergeben zu wollen, steht die Schwarze Madonna trotz der Gesinnung ihres Schaffenden weiterhin in der Remagener Friedenskapelle, deren Gedenktafel sich ausschließlich der deutschen Toten des zweiten Weltkrieges widmet. Grund genug also für Rechte aus ganz Deutschland, diesen Ort zur Pilgerstätte zu erklären.

Gegenveranstaltung zum diesjährigen Trauermarsch

Erst im vergangenen Jahr gründete sich daher ein Bündnis, das unter dem Motto “NS-Verherrlichung stoppen!” eine Gegendemonstration zum Trauermarsch organisiert. Diese Demonstration wurde dieses Jahr durch eine Kundgebung des erst vor wenigen Monaten gegründeten Bündnisses “Remagen Nazifrei!” unterstützt. Die Kundgebung befand sich in Sicht- und Hörweite der Neonazis und beabsichtigte, ihre Schweigeminute und Andacht durch Lärm zu stören.

Während die ca 150 Neonazis also um ihren eingebildeten Völkermord trauerten, boten ca 500-600 Demonstrierende und ein Lautsprecherwagen alles auf, um die Rechten zu stören.

Dabei flogen aus einer Ecke sowohl verschiedene Obstsorten (was nicht wirklich tragisch ist) als aber auch vereinzelt Steine aus der Menge in Richtung der Nazis. Daraufhin allerdings stürmten ca 100 Einsatzkräfte der bayerischen Polizei ( die nicht nur keiner Kennzeichnungspflicht unterliegen, sondern in der Vergangenheit mehrmals durch rechte Skandale innerhalb der eigenen Reihen in Erscheinung traten) ohne Vorwarnung die Versammlung. Eine wirkliche Strategie war nicht erkennbar, stattdessen wurden beinah ausschließlich die ersten fünf Reihen der friedlich Demonstrierenden mit Schlagstöcken, Pfefferspray und Körpereinsatz zu Boden gebracht und vom Rand der Kundgebund weggetrieben. Dabei kam es zu bisher 21 bekannten Verletzungen, von denen 16 direkt durch Polizist*innen verursacht wurden- Schädelplatzwunden, eine Mittelhandfraktur, ein gequetschter Fuß, mehrmaliger Verdacht auf Schädel-Hirn-Traumata und weitere Verletzungen waren das Resultat.

War der Polizeieinsatz in dieser Form notwendig?

Dass Steine geworfen wurden, war falsch. Da auch Hunde zwischen den Polizist*innen standen, hätten auch diese getroffen und verletzt werden können ( im Gegensatz zur gut gepolsterten Hundertschaft müssen diese nämlich ungeschützt und mit Maulkorb jede Situation ertragen, in die sie hineingezwungen werden). Gewalt ist niemals ein legitimes Mittel ( auch wenn das Bild eines glatzköpfigen Nazis, an dessen Kopf eine Mandarine zerplatzt, wirklich faszinierend war und ich zwischen Obst und Steinen doch noch unterscheiden würde). Steine auf Menschen und über Menschenmengen hinweg zu werfen,ist einfach gefährlich.

Jedoch kamen diese Würfe nicht aus den ersten Reihen, außerdem handelte es sich nur um vereinzelte Vorfälle. Durch das Vorgehen der Polizei jedenfalls wurde die Situation nicht entschärft, sondern unnötige Panik unter den friedlich Demonstrierenden hervorgerufen. Neben mehreren Verletzungen und der Notwendigkeit, die Kundgebung vorzeitig aufzulösen, mussten die Demonstrierenden daher nicht nur eine extreme Einschränkung ihres Versammlungsrechts inkauf nehmen, die Polizeitaktik schlug auch absolut fehl und zeigt einmal mehr, dass linke Aktivist*innen allzu oft kriminalisiert und pauschal bestraft werden. Vermutlich hätte es auch ausgereicht, wenn vonseiten der Veranstalter*innen der Kundgebung noch einmal ausdrücklich darauf eingegangen worden wäre, dass fliegende Steine nicht erwünscht sind.

Es bleibt zu hoffen, dass sich auch die eingesetzten Polizist*innen dieser Tatsache bewusst sind und endlich aufhören,  kollektiv alle gerade greifbaren Demonstrierenden für einzelne Ausschreitungen zu bestrafen.

Antifaschismus ist “peinlich”- Ein Beispiel für die Stigmatisierung linker Politik

In der Nacht vom 22. auf den 23. Oktober wurde im bisher vorallem durch Bischof Teebarz van Elst  bekannten beschaulichen Kleinstädtchen Limburg an der Lahn ein 55-jähriger Mann aus Ruanda in einem Obdachlosenheim ermordet.

Die Polizei geht von einem fremdenfeindlichen Motiv aus.  ( Der Spruch “Es gibt kein ruhiges Hinterland” kommt einem da zwangsläufig in den Sinn..)

Daraufhin fand vergangenen Sonntag eine Demonstration mit ca 150-200 Teilnehmer*innen statt, die vor allem von außerhalb angereist waren- Limburg selbst hat leider keine nennenswerte aktive antifaschistische Szene und vor allem keine diesbezügliche Organisationsstruktur.

Allerdings waren die Teilnehmenden selbst überrascht, dass vonseiten der Zuschauer*innen mehrmals positive Kommentare und Zuspruch für diese Demo kamen. Gleichzeitig wird dadurch deutlich, wie notwendig es war, auch in Limburg antifaschistisch präsent zu sein und sich nicht nur auf die Städte zu konzentrieren.

Die investigativ höchst kompetente Naussauische neueste Presse dagegen beginnt ihren Artikel über die absolut friedlich verlaufene Demonstration mit den Worten “Die Demonstration war fragwürdig, verlief peinlich, blieb aber immerhin friedlich.”

Peinlich wegen der mangelnden Ortskunde, da auch die Anmelder*innen selbst nicht aus Limburg stammen, fragwürdig, da es ja noch nicht bewiesen sei, dass der Mann tatsächlich aus rassistischen Motiven getötet worden sei- und das Erstaunen über den friedlichen Verlauf scheint der Erwartung der Journalist*innen, dass nicht alle linksaktiven Menschen primitive Krawallfans sind, nicht gerecht zu werden.

Laut O-Ton dieser Zeitung hatte also die Demonstration keine Berechtigung, weil der Mord nicht sicher rassistisch motiviert war. Zudem sollen sich auswärtige Menschen nicht in Limburger Angelegenheiten mischen, weil sie ja sowieso keine Ahnung haben. Antifaschismus soll also erst dann toleriert werden, wenn jemand gewaltsam durch Rassismus zu Tode gekommen ist? Latenter Rassismus, Ausgrenzungen, Diskriminierungen jeder Art, die entwürdigenden Blicke, mit denen wohnungslose Menschen viel zu häufig bedacht werden, rechte Jugendgruppen in Jugendzentren der Umgebung, bekannte Neonazis, die in die Region ziehen, sich dort niederlassen und rechte Versandhandel betreiben- alles Dinge, die nach Meinung dieses Artikels absolut normal sind und auch totgeschwiegen werden können? Scheinbar ja.

Wenn aber antifaschistischer, antidiskriminierender Arbeit eine so klare Absage erteilt wird, sie ins Lächerliche gezogen und mit stumpfen Vorurteilen versehen wird, entsteht ein gesellschaftliches Klima, in dem Rassismus wunderbar wachsen und gedeihen kann, er wird ja von keiner Seite eingedämmt. Und so kann es dann zu solchen Morden kommen. Rassistisch motivierte Straftaten entstehen nicht einfach isoliert. Sie entspringen häufig genug der Mitte einer Gesellschaft, die Rassismus fördert und erleichtert, in dem sie antifaschistische Arbeit denunziert, bei rassistischen Aussagen und Diskriminierung wegschaut und jegliche Existenz rassistischen Gedankengutes verleugnet.

Wo ein rassistischer Mord passiert, trägt immer auch die Gesellschaft die Verantwortung, die dies zugelassen hat.